· Psychoanalytisches Arbeiten mit der Couch ·

Wird die eigentlich benutzt oder steht die nur zur Deko da? fragt eine Patientin neulich während sie skeptisch und neugierig zugleich auf die Couch in meiner Praxis deutet. Und letztens mein Nachbar Luz so: Arbeitest Du etwa so richtig psychoanalytisch – mit Couch, freier Assoziation, Träumen und Reden über Sex? Oder gibt’s das nur noch in Woody Allen – Filmen?

Solche und ähnliche Fragen höre ich immer wieder. Die Analytiker-Couch macht die Leute neugierig und regt Fantasien an. Oft löst sie aber auch Vorurteile, Unsicherheit und Skepsis aus. 

In den Therapien selbst nehme ich mir stets Zeit, die inneren Bilder zu besprechen und in ihrer jeweiligen Bedeutung zu verstehen. Wie bei anderen Themen auch, haben die Fantasien bezüglich des Liegens auf der Couch vornehmlich etwas mit einem selbst, mit den eigenen Wünschen, Sorgen und Beziehungserfahrungen zu tun. Solche Vorstellungen müssen nicht bewusst sein, oft treten sie sogar erst an die Oberfläche, wenn man dann tatsächlich auf der Couch liegt.

Das Arbeiten mit der Couch ist eine von vielen psychodynamischen Methoden, die sich bis heute bewährt hat. Sie ist ein Angebot, eine Möglichkeit, den Therapieprozess zu intensiveren und zu erweitern. Insbesondere ist sie eine Konfrontation mit sich selbst. Nicht für jeden Patienten passt das und manchmal passt es auch nicht zu der jeweiligen Therapieform oder den zu bearbeitenden Themen. Die Entscheidung dafür oder dagegen wird individuell getroffen. 

Grundsätzlich kommt die Couch nur bei Langzeitbehandlungen, wie der psychoanalytischen Therapie, zum Einsatz. Die Sitzungen finden zwei bis vier Mal wöchentlich statt und die Patienten sind einerseits seelisch krank genug, um überhaupt eine solch intensive Langzeitbehandlung zu benötigen, andererseits stabil genug, um diese Form der Behandlung auszuhalten. 

Mit krank genug meine ich psychische Beschwerden, die einen bedeutsamen biographischen Bezug haben, denen also verinnerlichte, schädigende Beziehungserfahrungen zugrunde liegen. Den Patienten geht es nicht nur deshalb schlecht, weil in ihrem aktuellen Leben bestimmte Belastungen aufgetreten sind, sondern weil es frühe, meist unbewusste, innerseelische Konflikte gibt, die nicht ausreichend verarbeitet wurden. Diese sind so ungünstig verinnerlicht, dass sie zu wiederkehrenden zwischenmenschlichen Schwierigkeiten führen. 

Stabil genug bedeutet, dass Patienten diese intensive Auseinandersetzung mit sich selbst aushalten können, sie also nicht akut traumatisiert oder anderweitig hochbelastet und seelisch labil sind. Solche Patienten benötigen mich als Therapeutin eher konkret stützend und haltend im direkten Kontakt. Hier wäre ein psychoanalytisches Setting fehl am Platz (kontraindiziert).

Manchen Patienten hilft das Liegen auf der Couch, um stark Verdrängtes, das beschämend oder schuldhaft erlebt wird, bewusst werden zu lassen und darüber sprechen zu können. Es kann eben schwer sein, etwas wirklich Peinliches oder Beschämendes vor sich und anderen zuzugeben, wenn man dabei direkt angeschaut wird.

Auch das Wiedererleben prägender Beziehungserfahrungen aus der Kindheit, was man in der Psychoanalyse Regression nennt, wird durch das Liegen auf der Couch gefördert. Man fühlt sich wie damals: hilflos, ängstlich, wütend, unsicher und die Analytikerin wird als strenge, urteilende oder als eine verlassende, abwesende Mutter erlebt. Je nach Biographie. Diese Wiederholung früherer Erfahrungen innerhalb der therapeutischen Beziehung wird dann gemeinsam in ihrer jeweiligen Bedeutung verstanden und bearbeitet. Wenn dies gelingt, entwickeln Patienten nicht nur ein vertieftes Verständnis eigener Schwierigkeiten, sondern erleben eine neue Art der Beziehung, die im besten Fall korrigierend wirkt.

So wie bei Esther, die ursprünglich mit der Überzeugung, sie sei ein schlechter Mensch, zu mir in die Praxis gekommen war. Esther quälte diese Selbstverdächtigung und sie befürchtete, verrückt zu werden, denn verstehen konnte sie ihre Gedanken nicht. Seit einem Jahr schlief sie schlecht, machte bei der Arbeit Fehler und war ständig angespannt. Allein das Putzen und Aufräumen des idyllisch gelegenen Einfamilienhauses schien einen kurzen Moment der Beruhigung zu bringen. 

Die Beschreibung ihres Ehe- und Familienlebens weckte in mir Bilder von Astrid Lindgrens´ Bullerbü, alles schien ausgesprochen harmonisch und konfliktfrei. Ehrlicherweise habe ich nicht gleich verstanden, was Esther genau quälte. Ich nahm jedoch viele Widersprüche wahr und auch, dass Esther sehr in Not war. 

Meiner Erfahrung nach zeigen sich die eigentlichen Themen, mit denen Patienten zu mir kommen, irgendwann im Laufe der Behandlung. Unbewusstes Verdrängen oder bewusstes Verheimlichen benötigen viel seelische Energie, die dann in anderen Lebensbereichen fehlt. Wenn sie endlich über das sprechen können, wofür sie sich schämen, fühlen sich die meisten Menschen entlastet. Was sie bisher nicht bewusst verstanden haben oder was ihnen selbst unmöglich zu ertragen schien, lässt sich innerhalb der Psychotherapie nämlich anders betrachten. Dieses nachträgliche Verstehen führt  dann fast automatisch zu wichtigen Veränderungen.

Die Stunden mit Esther, die zunächst ein Mal wöchentlich im Sitzen begannen, sind angenehm, aber auch oberflächlich, vordergründig. Obwohl Esther scheinbar offen und frei von ihren Alltagssorgen erzählt, bleibt mein emotionaler Kontakt zu ihr flach. Wir besprechen die Möglichkeiten des Liegens auf der Couch und nachdem Esther dazu bereit ist, erhöhen wir die Stundenfrequenz auf drei Mal wöchentlich. 

Esther erzählt nun häufiger von ihrem streng katholischen Elternhaus, den vielen Regeln, erlebten Zwängen, der gedrückten Atmosphäre, der strengen Sexualmoral. Während ihre Freundinnen auf Partys gingen und zum ersten Mal Jungs küssten, engagierte sich Esther als Teenager in der Kirchengemeinde, organisierte Basare und Kinderfreizeiten, sammelte Spenden. 

Auch heute ist Esther in der Gemeinde aktiv und diese Tätigkeit hat sie stets beruhigt, aber seit ein neuer Pfarrer die Gemeinde übernommen hat, zieht sie sich zurück. Den Grund dafür kann sie mir nicht nennen. 

Denn auch vor mir kann sich Esther nur zaghaft offenbaren. Lange Zeit ist sie sich sicher, dass ich genau wie die Mutter verurteilend über sie denke. An dieser Wiederholung der frühen Mutter-Beziehung arbeiten wir viele Stunden. Esther erkennt schließlich, dass es sich bei ihrer Wahrnehmung von mir nicht nur um ein früheres Erleben der Mutter handelt, sondern, dass sie auch eigene überstrenge, nicht bewusste Anteile auf mich projiziert. Diesen Prozess – die eigenen, frühen Beziehungserfahrungen unbewusst in anderen, neuen Beziehung zu wiederholen – nennt man Übertragung. Das Arbeiten mit und an dieser Übertragung ist ein zentrales Merkmal psychoanalytischer Therapien. 

Und so dauert es lange, bis mich Esther unterstützend, nicht wertend oder verurteilend erlebt und sich von mir angenommen fühlt. Schliesslich kann sie sich und mir eingestehen, dass sie in den neuen Pfarrer verliebt ist und sie intensive sexuelle Fantasien mit ihm hat.

Es gelingt nun zu verstehen, was Esther wirklich quält: Sie hat sich in einen Mann verliebt, der mit einem sexuellen Verbot belegt ist, und damit – zumindest gedanklich – ein moralisches Tabu gebrochen. Ihre intensiven sexuellen Fantasien, erregend und quälend zugleich, geben Esther das Gefühl, sich schuldig zu machen, so, als hätte sie sich bereits versündigt. Dass es psychisch eine wichtige Unterscheidung zwischen Fantasie und Handlung gibt, kann Esther erst einmal nicht erkennen oder erleben. Ihre moralischen Ansprüche sind so überbordend, dass sie bereits die Gedanken als Sünde erlebt und sich von diesen ebenso bedroht wie verführt fühlt. 

Und so spreche ich manchmal aus, was sich Esther noch nicht traut, biete ihr eine Deutung oder ein Gefühl an, dass sie selbst noch nicht aussprechen kann. Mehrmals gesteht sie, wie froh sie ist, mir dabei nicht in die Augen schauen zu müssen.

Esther erkennt nun häufiger, wie sie die strengen Regeln und Tabus aus ihrem Elternhaus unbewusst übernommen und verinnerlicht hat und diese, ohne kritisches Hinterfragen, zu ihren wurden. Wie sie selbst in den vorgegebenen moralischen und religiösen Vorstellungen verhaftet blieb, und wie ihr diese zunächst zwar Sicherheit gaben, aber auch eigene vitale Anteile abspalteten. Und wie das Putzen die Funktion der Abwehr von bisher verbotenen Gefühlen, Wünschen, Fantasien übernommen hatte. Das Putzen als Versuch, die als schmutzig erlebten Gedanken wegzuwischen, ihre Seele rein zu halten. Und wie das wohl nicht zufällige Verlieben in den neuen Pfarrer das bis dahin aufrechterhaltene Selbstbild ins Wanken und Esther letztlich zu mir in die Praxis brachte.

Rückblickend lässt sich nicht sagen, wie die Therapie ohne Couch oder mit einer ganz anderen Therapieform verlaufen wäre. Esther jedoch hat vom liegenden Setting, den mehrstündigen  wöchentlichen Sitzungen, von der ihr zur Verfügung stehenden Zeit, dem ganz eigenen, sicheren Raum für ihre Gefühle und verborgenen Wünsche, profitiert. So war es ihr möglich, ohne Ablenkung durch unseren direkten Kontakt, meine Mimik, das gegenseitige Anschauen oder ein vorgegebenes Schema bisher verdrängte und unbewusste Gefühle in sich wahrzunehmen und auszuhalten. Und auch die Übertragung, also die Wiederholung der strengen, sie verurteilenden Mutterbeziehung, konnte Esther erstmals bewusst reflektieren und schließlich in der therapeutischen Beziehung zu mir anders, nämlich ermutigend und entwicklungsfördernd, erleben. 

Die Couch ist also kein Relikt aus den Anfängen der Psychoanalyse, kein Requisit für überspitzte filmische Darstellung. Sie ist ein Platz für das Unbewusste, Verborgene und Ungesagte, eine Möglichkeit, sich selbst zu begegnen und zu gesunden.